Der Bundesgerichtshof hat in zwei lang erwarteten und jüngst veröffentlichten Entscheidungen aus dem November 2019 (EnVR 65/18 und EnVR 66/18) den Begriff der „Kundenanlage“ im Sinne des (§ 3 Nr. 24a EnWG) maßgeblich konkretisiert. Die Entscheidungen bezogen sich jeweils auf Wohnanlagen mit 20 bzw. mehr als 450 Wohneinheiten.
Hintergrund der Entscheidungen ist die Abgrenzung des regulierten Energieversorgungsnetzes von Kundenanlagen, die nicht der Regulierung unterliegen. Der Bundesgerichtshof hatte sich in diesem Zusammenhang mit den auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen des „räumlich zusammengehörigen Gebiets“ (§ 3 Nr. 24a lit. a) EnWG) und der Bedeutung der Energieanlage für die „Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas“ (§ 3 Nr. 24a lit. b) EnWG) auseinanderzusetzen und hat die Maßstäbe hier neu definiert. Die Kriterien, an denen sich die Praxis bislang orientieren konnte, gingen im Wesentlichen auf zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt sowie auf Ausführungen hierzu in der Rechtsliteratur zurück.
In Bezug auf die räumliche Zusammengehörigkeit eines Gebiets hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheidend auf die von außen wahrnehmbare, durch innere Verbundenheit geschaffenen Gebietseinheit abgestellt, welche nicht durch störende oder trennende Unterbrechungen (wie Straßen, Gleise etc.) aufgehoben sein durfte. Inwieweit eine querende Straße geeignet ist, den Gesamteindruck als Gebietseinheit aufzuheben, sei im Wege eine Gesamtschau der Umstände im Einzelfall zu bestimmen. Soweit eine Straße lediglich der Erschließung des Gebiets diene, stehe sie dem Gesamteindruck der Gebietseinheit im Regelfall jedoch nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen von dieser räumlich-optischen Bestimmung der Gebietseinheit nunmehr zugunsten einer räumlich-regulatorischen Bestimmung Abstand genommen. Maßgeblich soll sein, inwieweit die räumlichen Verhältnisse einen konkreten Bezug zu den Regulierungszielen aufwiesen. Daher sei auf das Verhältnis zwischen der Energieanlage und dem versorgten Gebiet abzustellen und entscheidend, dass sich innerhalb des durch die Anlage versorgten Gebietes keine Letztverbraucher befinden, zu deren Versorgung weitere Energieanlagen zur Abgabe von Energie eingerichtet oder notwendig seien. Daneben sei die Frage unerheblich, ob sich die Energieanlage über mehrere Grundstücke erstreckt, soweit diese Grundstücke aneinandergrenzen und nicht verstreut liegen. Unschädlich sei es weiter, wenn ein so abgegrenztes Gebiet Straßen, ähnliche öffentliche Räume oder vereinzelte, nicht ins Gewicht fallende andere Grundstücke einschließt, welche nicht über die Energieanlage versorgt werden.
In Bezug auf die Wettbewerbsrelevanz der Energieanlage bei der Energieversorgung hat der Bundesgerichthof die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf noch weiter konkretisiert. Neben der Wettbewerbsrelevanz in Bezug auf Energielieferungen, also der Handelsebene, soll die Wettbewerbsrelevanz der Energieanlage auch im Verhältnis zur Wettbewerbssituation des Netzbetreibers zu beurteilen sein. Eine Kundenanlage dürfe lediglich dem Zugang der angeschlossenen Letztverbraucher an das vorgelagerte Netz der allgemeinen Versorgung dienen. Der Transport von Energie sei hingegen dem regulierten Netz vorbehalten. Eine Energieanlage sei daher nur dann für den Wettbewerb unbedeutend, wenn sie weder in technischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Ausmaß erreicht, das Einfluss auf den Versorgungswettbewerb und die durch die Regulierung bestimmte Lage des Netzbetreibers haben kann. Maßgeblich für diese Beurteilung sollen insoweit neben der Anzahl der angeschlossenen Letztverbraucher auch die Menge der durchgeleiteten Energie sowie die geographische Ausdehnung der Energieanlage sein. Aus diesen abstrakten Maßstäben leitetet der Bundesgerichtshof sodann absolute Grenzwerte ab. Danach scheide – vorbehaltlich der durch den Tatrichter jeweils durchzuführenden Gesamtwürdigung – im Regelfall eine Einordnung als für den Wettbewerb unbedeutend aus, wenn mehrere hundert Letztverbraucher angeschlossen sind, die Energieanlage eine Fläche von deutlich über 10.000 m² versorgt, die jährliche Menge durchgeleiteter Energie voraussichtlich 1.000 MWh deutlich übersteigt und mehrere Gebäude angeschlossen sind. Bleibt die Energieanlage hingegen in mehreren dieser Punkte hinter den genannten Werten zurück, soll es sich regelmäßig um eine für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutende Kundenanlage handeln.
Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betreffen nur die Kundenanlage im engeren Sinn des § 3 Nr. 24a EnWG, helfen jedoch im Fall einer Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung (§ 3 Nr. 24b EnWG) nicht weiter. Sie sind dennoch klar zu begrüßen, da sie jedenfalls für die „klassische“ Kundenanlage weitere Klarheit in die gerade in jüngster Zeit heftig geführten Debatten bringen. Dies geschieht insbesondere durch die Vorgabe konkreter Messgrößen, anhand derer etwa die Wettbewerbsrelevanz der betreffenden elektrischen Anlage bestimmt werden kann. Dennoch ist für pauschale Wertungen auch künftig kein Platz. Die Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von Energiedienstleistern und Contractoren in großen Quartieren wird man nach wie vor nur im Rahmen einer individuellen Betrachtung der Verhältnisse vor Ort beurteilen können.
Annika Pennekamp-Jost
Rechtsanwältin, Senior Associate
Dr. Andreas Gabler
Rechtsanwalt und Partner
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